Reaktion auf Interview mit dem „Roten Salon“ im Kreuzer

Mit Verwunderung haben wir das Interview im Kreuzer mit Vertretern des Roten Salon (bisher sind nur Männer in Erscheinung getreten) über ihren „Great Connewitz Swindle“ gelesen. Erstaunlich erscheint es uns, weil der Kreuzer auf Grund der eigenen Geschichte genug Menschen kennen müsste, die ausreichend Gegenargumente auf die Broschüre und den Aussagen des Salons anführen könnten, wie es bei der Veranstaltung im Conne Island bereits „erfolglos“ versucht wurde. „Erfolglos“, weil die Gegenreden eben nicht dazu führten, dass die Vertreter des Roten Salon zumindest keinen unkritischen Raum im Kreuzer erhalten haben, im Gegenteil. Statt auf Gegenargumente, aufgezeigte Fehlstellen, falsche Behauptungen und mangelnde Kenntnisse einzugehen, wechselten sie vielmehr das Thema oder wiederholten die immer gleichen Aussagen, wie auch zuletzt im Kreuzer. Wenig verwunderlich distanzierten sich die beiden Vertreter deutlich von ihrer politischen Vergangenheit und einer linken Szene im Allgemeinen.
Dazu passt, dass der Rote Salon und seine Vertreter seit Jahren überhaupt nichts mehr mit einer linken Szene zu tun haben (wollen). Vielmehr handelt es sich um eine persönliche Abrechnung mit der eigenen politischen Vergangenheit und der Linken. Mit einer sachlichen Diskussion auf Grundlage von Fakten haben die meisten Aussagen daher wenig zu tun. Dies wird neben der Veranstaltung im Conne Island auch im Kreuzer-Interview an der oft verwendeten Formulierung „ich glaube“ mehr als deutlich. Wieso gerade jene Vertreter, die sich explizit von der Linken distanziert haben, ihre Notwendigkeit in Frage stellen und bei jeder gegebenen Gelegenheit gegen diese schießen, unter dem Titel „Leipzig unten links“ im Kreuzer soviel Raum erhalten haben, bleibt fraglich. Um es mit den Worten der Freund*innen der Polemik zu formulieren – Vom Niveau des Roten Salon her ist es so als würde der Kreuzer heute ein Interview mit Jürgen Elsässer über seine Zeit im Kommunistischen Bund führen.
Da andere Initiativen sicherlich auf die falschen Aussagen zum Thema Stadtpolitik und Gentrifizierung eingehen werden, wollen wir uns zum Thema rechte Gewalt und antifaschistische Praxis in Leipzig äußern. Vorweg jedoch, wir nehmen es der Kreuzer-Redaktion schon etwas übel, dass sie mit dem Interview so viele Initiativen zu einer Reaktion auf den Roten Salon zwingen. Der unabgesprochene Konsens, auf die Polemiken und Publikationen des Roten Salon nicht mehr zu reagieren, sind durch den Raum im Kreuzer leider nicht mehr möglich. Entgegen der Behauptungen des Roten Salon gibt es sehr wohl einen Austausch und eine Diskussion in Leipzig. Wieso dies ausgerechnet mit ihnen nicht mehr zielführend ist, wurde in der Veranstaltung im Conne Island noch einmal offenbart.
Klaus R., Bernd G., Horst K., Achmed B., Nuno L., Thomas K., Karl-Heinz T., Kamal K. sowie vermutlich mindestens zwei weitere Menschen sind in Leipzig seit 1990 durch rechte Täter ermordet worden. Sie wurden aus rassistischen, homosexuellenfeindlichen oder sozialdarwinistischen Motiven getötet. Nirgendwo in Sachsen gibt es mehr Todesopfer rechter Gewalt als in Leipzig. Die Opferberatung RAA zählte im Zeitraum von 2007 bis 2020 757 rechte Angriffe allein in der Stadt Leipzig.
Das reale Ausmaß rechter Gewalt und rechten Terrors spiegelt sich in diesen Zahlen dennoch nicht wider. Im Jahr 2008 nahm beispielsweise die Dokumentationsplattform chronikle.org ihre Arbeit auf und dokumentiert seitdem zum Teil Ereignisse, die weder bei der Opferberatung, der Polizei noch in den Medien Erwähnung finden.
So hat es demzufolge den letzten bewaffneten Übergriff auf junge Antifaschist*innen in Connewitz am 8. November 2021 gegeben (https://www.chronikle.org/ereignis/angriffe-leipziger-s%C3%Bcden-b%C3%Bcrgerbewegung-leipzig-demo). Die Gefahr, dass weitere Menschen von Rechten ermordet werden, bleibt auch in Sachsen aktuell hoch. Am 30. August 2020 wären in Dresden beinahe zwei Menschen durch einen jungen Rechten getötet worden. Im Mai 2020 starb ein junger Rechter in Wurzen bei einer gesuchten Auseinandersetzung. Die Aussagen im Conne Island von den Vertretern des Roten Salon zum Neonazi-Angriff in Connewitz am 11. Januar 2016 oder zum rechten Terror in Halle und Hanau waren in vielen Punkten falsch. Auch was die “Analysefähigkeit” von Antifaschist*innen betrifft, scheinen die Verteter des Roten Salon viele Publikationen überhaupt nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen.
So verwundert es auch nicht, dass einer der größten organisierten Neonazi-Angriffe im Stadtteil in der Broschüre nur in der Fußnote erwähnt wird; verschwiegen wird zudem, was dieses Ereignis für Folgen für die Bewohner*innen und Antifaschist*innen hatte, welche möglichen Konsequenzen daraus gezogen wurden. Ähnlich wie Justiz und Polizei verschweigt auch der Rote Salon die Menschen, die am Abend angegriffen wurden, in den Lokalen auf der Wolfgang-Heinze-Str, in ihren Wohnungen von Pyrotechnik getroffene Menschen oder jene, die den Neonazis auf deren Strecke begegneten.
Wir können aus unserer jahrelangen politischen Arbeit in Leipzig und Sachsen entgegen dem Roten Salon nicht davon berichten, dass wir unzählige ausgestreckte Hände von der Politik oder gar einer Stadtverwaltung ausgeschlagen hätten, weil es diese kaum bis gar nicht gab. Wir können eher vom Gegenteil berichten, auch von Repression gegen Betroffene rechter Gewalt oder bei unseren Veranstaltungen.
Wir erinnern uns an Veranstaltungen, bei denen Betroffene über ihre Erfahrungen mit Rassismus in der Stadt Leipzig berichteten und die Rektorin der Universität Leipzig sich brüskiert fühlte, weil Ereignisse an der Uni geschildert wurden. Wir haben mit Betroffenen rechter Gewalt für Aufklärung gekämpft, nicht nur in Sachsen, für ein aktives Gedenken und für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Ursachen dieser Taten.
Wir sehen nicht, wo Leipzig eine „liberale bunte Stadt“ sein soll, wo Neonazis seit 2007 im ehemaligen KZ Außenlager von Buchenwald in der Kamenzer Str. einen Stützpunkt haben – um nur ein Beispiel zu nennen. Wir haben den Betroffenen rechter Gewalt zugehört, wir standen am Grab von Kamal K. und erinnern jährlich an die Betroffenen des rechten Terrors in diesem Land und in dieser Stadt. Wir waren in den vergangenen Jahren gegen den rechten Mob auf der Straße, in Schneeberg, Bautzen, Freital, Heidenau, Dresden, Wurzen, Zwickau, Leipzig … Wir waren und sind selbst oft genug von rechter Gewalt und staatlicher Repression betroffen.
Menschen aus unserer Gruppe sind teilweise in Sachsen aufgewachsen, in der Provinz sowie in Leipzig. Nie kämen wir auf die Idee, uns von unserer vergangenen politischen Arbeit zu distanzieren oder diese als „Quatsch“ zu bezeichnen. Ganz im Gegenteil, gerade weil wir seit vielen Jahren politisch aktiv sind, bleiben wir auch weiterhin solidarisch mit all jenen Antifaschist*innen, die Neonazis und Rassist*innen „aufs Maul hauen“ und mit Linken, die von Repression und Polizeigewalt betroffen sind. Freiheit und Glück für Lina sowie allen weiteren Antifaschist*innen!
“Rassismus tötet!” – Leipzig, Januar 2022