Name it, face it – Rechten Terror bekämpfen

Seit Beginn des Jahres 2019 beschäftigen wir uns als Bündnis intensiv mit dem Themenkomplex „Rechter Terror“. Hier dokumentieren wir unser Diskussionspapier:
„Name it, face it – Rechten Terror bekämpfen“.

Veranstaltungen & Aktionen

Bisher sind in Erlangen, Hamburg und Rostock Veranstaltungen geplant.  Zudem wird es eine Plakat- und Aufkleberkampagne geben. Alle bisher bekannten Veranstaltungen wurden hier gesammelt.

Name it, face it – Rechten Terror bekämpfen (Aufruf & Thesenpapier)

Download der für den Druck gestalteten Broschüre

Mit Blick auf den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), sagte Zschäpe-Anwältin Anja Sturm 2017 in ihrem Plädoyer, dieser könne nicht als terroristische Vereinigung eingestuft werden, da seine Taten nicht zur Einschüchterung der (Gesamt-)Bevölkerung dienten. In dieser Wahrnehmung gilt Gewalt nur dann als Terror, wenn sie auf die Dominanzgesellschaft [1] abzielt. Bei aller linken Abwehr dieser Argumentation, spricht Rechtsanwältin Sturm damit lediglich aus, was sich am NSU als gesamtdeutscher Konsens entlarvt hat. Weil die Anschlags- und Mordserie nicht auf weiße Deutsche [2] verübt wurde, sondern rassistisch Markierte [3] in Angst versetzen sollte, wollte niemand den Terror erkennen: nicht die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden, nicht die Medien, nicht die Zivilgesellschaft und auch nicht die radikale Linke. Statt gezielte Attentate eines neonazistischen Netzwerkes zu sehen, suchte die deutsche Öffentlichkeit deren Hintergründe akribisch bei den Betroffenen. Die rassistische Wahrnehmung machte den rechten Terror unsichtbar. Der Unwillen, die Bedrohung durch rechten Terror wahr- und ernst zu nehmen, zementiert den gesellschaftlichen Ausschluss der Betroffenen. Ob rassistisch Markierte, Jüdinnen* Juden, Wohnungslose oder andere, die im Visier rechter Gewalt stehen – ihnen wird gesagt „ihr gehört nicht dazu“ und „euer Leben ist nicht so viel wert wie unseres“ – die Dominanzgesellschaft macht sie damit vogelfrei, anstatt sie zu schützen. Mit den folgenden Thesen wollen wir dazu beitragen, die Strukturen neonazistischer Gewalt sichtbar zu machen, ihre Verstrickung in die sich autoritär formierende Gesellschaft [4] offen zu legen und rechten Terror als solchen zu benennen.

„Terror oder Terrorismus?“

In verschiedenen Zusammenhängen, gerade in der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte, gibt es zwei unterschiedliche Sammelbegriffe: Terror und Terrorismus. Beide haben den Anspruch bestimmte Phänomene zu beschreiben. Sie sind von ihrem Gebrauch her nicht immer klar in ihrer Bedeutung, werden oftmals synonym, in manchen Fällen unzutreffend oder falsch verwendet. Terror (lat. Furcht, Schrecken) als historisch-moderner Konzeptbegriff zur Beschreibung von systematischer und willkürlicher Gewaltanwendung zur Verbreitung von Angst und Schrecken, existiert seit der Aufklärung. Terror wird hierbei als legitimer Akt eines Staates angesehen, Menschen gefügig zu machen. Der Begriff Terrorismus dagegen ist jünger und beschreibt das Ausüben von Terror zur Erreichung bestimmter politischer, wirtschaftlicher oder religiöser Ziele. Es gibt aber keine allgemein akzeptierte wissenschaftliche Definition von Terrorismus. Schwierigkeiten bereiten insbesondere Abgrenzungen zu politischem Widerstand oder Aktivismus. Historisch lässt sich feststellen, dass eine Verschiebung hinsichtlich der Akteur*innen und der Bewertung stattgefunden hat: weg von einer legitimen Form von Staatsgewalt, hin zu gegen den Staat gerichteten Aktionen von Personen und Gruppen. Darüber hinaus findet der Begriff heutzutage umgangssprachlich in zahlreichen Wortzusammensetzungen Gebrauch, wo er oftmals für aggressive Umgangsformen oder extreme Belästigung steht (Psychoterror, Telefonterror u.a.).

1. RAF und 9/11 statt NSU – Rechter Terror bleibt in Deutschland unsichtbar.

Terror ist im medialen und politischen Diskurs allgegenwärtig. Seit den Anschlägen am 11.September 2001 nimmt die Bedrohung durch islamistischen Terror eine bedeutsame Stellung in innen- und außenpolitischen Debatten ein und ist darüber hinaus ins politische Alltagsbewusstsein eingesickert. Hier bedient der Begriff Terror häufig antimuslimische Ressentiments und rassistische Bilder von der „Bedrohung des Abendlandes“. Einige Jahrzehnte zuvor wurden in Europa unter dem Schlagwort Terror bewaffnete antiimperialistische Gruppen verfolgt. In Westdeutschland schrieb sich der sogenannte Deutsche Herbst als Terror ins öffentliche Bewusstsein ein, erhielt eine Berücksichtigung im Strafgesetzbuch (§129) und diente als Vorwand für eine weitere Kampagne gegen die gesamte radikale Linke.
Beiden Verwendungen des Begriffs Terror ist gemein, dass er keine neutrale Beschreibung darstellt, sondern immer auch als politischer Kampfbegriff verwendet wird. Der Diskurs diente in beiden historischen Situationen dazu, Bürger*innenrechte zu beschneiden, neue Überwachungstechnologien einzuführen und repressive Politik durchzusetzen. Das Reden vom Terror befeuerte ein Klima der Angst, in dem Spielräume für die autoritäre Umformung des Staates geschaffen wurden. Die Erweiterung staatlicher Befugnisse im Namen der Sicherheit wird dabei von der Bevölkerung legitimiert, bürgerliche Freiheiten in vorauseilendem Gehorsam über Bord geworfen. Maßnahmen, die einmal als ultima ratio der „Terrorabwehr“ eingeführt wurden, finden sich wenige Jahre später schon in der polizeilichen Standardpalette.
Obwohl die Rede vom Terror politisch allgegenwärtig scheint und vordergründig zahlreiche Reformen und Debatten antreibt, ist auffällig, dass rechte Gewalt dabei systematisch ausgeblendet wird. Wenn Neonazis Übergriffe, Anschläge oder Morde planen und ausführen, die gezielt Menschen treffen, welche nicht zu der von ihnen imaginierten Volksgemeinschaft gehören und damit Angst schüren wollen, dann wird dies nicht als Terror wahrgenommen. Vielmehr wird von verwirrten Einzeltäter*innen, psychisch Erkrankten oder vernachlässigten Jugendlichen gesprochen. Der Zusammenhang zwischen den Taten wird dabei ausgeblendet, die Bedrohung verharmlost und jegliche Verantwortung weggeschoben, weil die Betroffenen nicht zur Dominanzgesellschaft zählen. Rechter Terror bleibt so unsichtbar. Beispielhaft dafür ist der Anschlag am und im Olympia Einkaufszentrum in München 2016, bei dem neun Personen getötet und fünf weitere verletzt wurden. Bis heute wird das rassistische Tatmotiv in weiten Teilen der Gesellschaft, allen voran den Sicherheitsbehörden, relativiert.

2. Werwolf und Tag X – Rechter Terror hat in Deutschland eine lange Tradition.

Auch wenn sich rechtsextremer Straßenterror bereits in der Weimarer Republik etabliert hat, so setzen wir zum Zwecke unserer Analyse den Startpunkt, von dem bis heute eine Kontinuität ausgeht, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Angesicht der deutschen Niederlage skizzierte SS-Offizier Arthur Ehrhardt in „Werwolf – Winke für Jagdeinheiten“ ein militärisches Vorgehen für Einzeltäter*innen und Kleingruppen, die aus dem Verborgenen heraus für einen faschistischen Gesellschaftsumsturz kämpfen sollten. Durch zielgerichtete Gewalt sollte ein Bürgerkrieg entfacht werden, den es dann zu gewinnen gälte. Der darin enthaltene rechte Mythos, der einzelnen, mutigen Kämpfer*innen, die zu extremen Gewalttaten bereit sind, befeuert bis heute rechte Heldenerzählungen in Musik, Magazinen und im Internet. Gleichgesinnte sind aufgerufen als einsame Wölfe oder als Kleingruppen im führerlosen Widerstand solche Gewalttaten zu planen und auszuführen. Durch wachsame Beobachtung ähnlicher Taten sollten sie darüber hinaus erkennen, wann der Tag X gekommen sei, um gemeinsam loszuschlagen. Das meint im Grunde eine faschistische Revolution. In der Phantasie rechter Terrorist*innen ist der Tag X lediglich der Auftakt zu einem Bürgerkrieg, der in eine faschistische Gesellschaft mit all ihren verheerenden Konsequenzen münden soll. Eine aktuelle Ausformulierung dieser Strategie findet sich in den „Turner Diaries“ des US-Amerikaners William Pierce, die in den rechten Szenen der USA und Europas breit rezipiert wurden.
Nach Kriegsende richtete sich der Terror zunächst vorrangig gegen Linke und Antifaschist*innen. So legte in den 1950er Jahren der „Bund Deutscher Jugend“ Listen von politischen Gegner*innen an und rüstete sich mit Waffen aus. Dabei wurde er von ehemaligen SS- und Wehrmachtsangehörigen unterstützt, die mit antikommunistischen Attentaten die Niederlage des Nationalsozialismus rächen wollten. Auch die oberflächliche Entnazifizierung Deutschlands wurde zur Zielscheibe rechten Terrors. Es gab mehrere Bomben- und Mordanschläge gegen Spruchkammern, die versuchten NS-Täter*innen zur Rechenschaft zu ziehen.
Ab den 1960ern gerieten vermehrt alliierte Soldat*innen ins Visier rechter Attentäter*innen. Ein Beispiel ist Ekkehard Weil, der zunächst 1970 einen sowjetischen Wachsoldaten mit einer Schusswaffe schwer verletzte und sich später nach Österreich absetzte, wo er noch mehrere antisemitische Anschläge verübte.
Rechter Terror trifft bis heute auch immer wieder Jüdinnen*Juden sowie ihre Einrichtungen. Erwähnt sei hier der Mord am jüdischen Verleger Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke 1980 in Erlangen durch ein Mitglied der „Wehrsportgruppe Hoffmann“.[5]
Mitte der 1970er plante eine Gruppe von Neonazis um Manfred Börm und Michael Kühnen das Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld zu entführen, Grenzanlagen der DDR anzugreifen, die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen zu zerstören und den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß aus dem Gefängnis zu befreien. Außerdem hatte die Gruppe Banken und Sparkassen überfallen um ihre Strukturen und weitere Anschläge zu finanzieren. Sie schreckten auch nicht davor zurück Soldat*innen anzugreifen um deren Waffen zu erbeuten.
Zwischen 1977 und 1984 attackierte die katholisch-fundamentalistische „Gruppe Ludwig“ Homosexuelle, Sexarbeiter*innen, Drogenkonsument*innen, Sinti*ezza und Priester, denen sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen wurde. Mit Molotow-Cocktails, Messern und anderen Waffen töteten sie im Raum von Süddeutschland bis Norditalien insgesamt fünfzehn Menschen. In ihren Bekenner*innenschreiben verwendeten sie neben religiösen Symbolen auch Hakenkreuze.
Neben dem bis heute unaufgeklärten Oktoberfestattentat kam es in den 1980ern vermehrt zu rassistischen Brandanschlägen und Angriffen auf Geflüchtete und deren Unterkünfte. 1980 ermordeten die „Deutschen Aktionsgruppen“ in der Hamburger Halskestraße Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân – ein Anschlag, der erst seit wenigen Jahren ins politische Gedächtnis zurückgetragen wird.[6] Der Anführer der „Deutschen Aktionsgruppen“, Manfred Roeder, galt in den 1990er Jahren als Heldenfigur unter Neonazis und auch der NSU solidarisierte sich mit ihm.
Um die Jahrtausendwende wurden Verstrickungen deutscher Neonazis in „Combat 18“-Strukturen bekannt. Dabei handelt es sich um den bewaffneten Arm des rechten Musiknetzwerks „Blood and Honour“ und hat sich ebenfalls dem führerlosen Widerstand verschrieben. Antifa-Recherchen ergaben 2018, dass diese sich aktuell neu formiert haben.[7]
Aktuell sind diverse Verfahren gegen Rechte Gruppen unter Terrorverdacht anhängig oder abgeschlossen. („Gruppe Freital“, „Revolution Chemnitz“, „Aryans“, „Oldschool Society“, etc.). Es gibt Medienrecherchen über „Preppergruppen“ von teils aktiven, teils ehemaligen Polizei- und Bundeswehr-Mitgliedern, die sich für den Fall der gesellschaftlichen Ordnung wappnen, Todeslisten anlegen, Waffen und Munition horten. (siehe „Nordkreuz“, „Uniter“[8]) Viele dieser Zusammenhänge sind noch lange nicht aufgeklärt.

3. Nicht für alle unsichtbar – Rechte Taten sind Botschaftstaten.

Trotz dieser jahrzehntelangen Kontinuität wird rechter Terror von der Öffentlichkeit anlässlich jedes rechten Anschlags oder Attentats immer wieder neu entdeckt. Das liegt auch daran, dass er sich den gesellschaftlichen und institutionalisierten Rassismus zu Hilfe nimmt: Er spricht vor allem zu denen, an die er adressiert ist.
Die Angriffe zielen dabei nicht nur auf die körperliche Unversehrtheit der direkt Betroffenen ab, sondern sollen alle potentiell Betroffenen in Angst versetzen, sie einschüchtern, sie in ihrem Alltag einschränken, ihre politische Partizipation ersticken, und sie damit letztendlich gesellschaftlich weiter ausgrenzen. Die Botschaften rechten Terrors werden von den Betroffenen meistens vor der Dominanzgesellschaft als solche erkannt. Beispielhaft hierfür ist, dass bereits 2006 – fünf Jahre vor der Selbstenttarnung des NSU – Angehörige unter dem Motto „Kein 10. Opfer“ auf den rassistischen Hintergrund der Taten aufmerksam machten. Die Neonaziszene erkannte die Taten ebenfalls als das, was sie waren und feierte diese unter anderem in rechten Publikationen und Songtexten.
Rechter Terror funktioniert also als doppelte Botschaftstat, bei der jeder Anschlag eine Nachricht übermittelt – an die Betroffenengruppe und an die rechte Szene. Um die implizierten Botschaften zu übermitteln, bedarf es oft keiner Bekenner*innenschreiben, getreu dem Motto „Taten statt Worte“, wie es auch in dem Bekennervideo des NSU und in Schriften von „Combat 18“ propagiert wird.
Neben der Tat an sich, ist das Ziel rechten Terrors einen vermeintlichen Tag X herbeizuführen. Ebenso kursiert dieser Begriff in den rechten Netzwerken von „Uniter“ und „Nordkreuz“, deren Mitglieder zu großen Teilen aus Polizei und Bundeswehr stammen.

4. Immer wieder Einzelfall – Rechter Terror wird öffentlich nicht als solcher wahrgenommen.

Die Geschichte rechten Terrors in Deutschland seit 1945 ist eng verwoben mit Abwehrstrategien und Mustern der Verharmlosung, die sich in der Öffentlichkeit nach jeder Tat wiederholen. Die Angriffe werden „isolierten Einzeltäter*innen“ zugeschrieben, die angeblich ohne Netzwerk gehandelt hätten[9]. Dabei wird die Vernetzung rechter Gewalttäter*innen beispielsweise durch Szene-Events, Fanzines und in Internet-Foren ignoriert[10]. Des Weiteren werden die Täter*innen häufig als gescheiterte Existenzen, psychisch Erkrankte oder frustrierte Verlierer*innen portraitiert und ihr rechtes Gedankengut heruntergespielt. Ebenso werden die Taten als „Amokläufe“ entpolitisiert und gehen als tragische Einzelfälle ins öffentliche Bewusstsein ein.[11]
Kommt es nach einem Anschlag mit unbekannten Täter*innen zu polizeilichen Ermittlungen, wird rechter Terror entweder gar nicht in Betracht gezogen, ignoriert oder nur unzureichend verfolgt. Stattdessen gibt es häufig Ermittlungen und Verdächtigungen gegen die Betroffenen, denen in rassistischer Manier eine Mitschuld am Erlittenen unterstellt wird. Weisen sie selbst auf die Möglichkeit eines rechten Hintergrunds hin, so werden sie ignoriert oder sogar mundtot gemacht.
Wenn rechter Terror überhaupt als solcher anerkannt wird, findet eine gesellschaftliche Abspaltung statt, die diesen als „das ganz andere“ brandmarkt. Es wird ausgeblendet, dass er in einer Gesellschaft entsteht, die strukturell rassistisch eingerichtet ist und in der Neonazis Rückhalt genießen. Rechtes Gedankengut, wie Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Antiziganismus, findet sich überall in der Gesellschaft und bereitet den Nährboden für rechte Gewalt. In einigen deutschen Dorf- und Stadtgemeinschaften ist der rechte Konsens so stark, dass sich selbst Rechtsterrorist*innen nicht verstecken brauchen, sondern sich fühlen können wie die „Fische im Wasser“[12]. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Umgang mit Rechtsterrorismus altgedienten Abwehrmechanismen folgt.

5. Mythos Einzeltäter*in – Die Organisierung findet auch im digitalen Raum statt

In der öffentlichen Deutung rechter Terrorakte werden die Biographien der Täter*innen stets nach Anzeichen für psychische Erkrankungen durchleuchtet oder mindestens deren zu bemitleidendes Leben in den Vordergrund gerückt. Durch den Verweis auf diese Faktoren wird das politische Motiv der Tat negiert. Anstatt die rechte Ideologie zu erkennen, werden die Täter*innen pathologisiert und als Einzeltäter*innen dargestellt.
Dabei machen die Täter*innen in Bekenner*innenschreiben, -videos und Forenposts keinen Hehl aus ihren politischen Motiven und zitieren durch die Ausführung der Taten vorherige rechte Attentate.
Sie filmen diese und übertragen sie ins Internet, damit ihre Botschaften live gesehen werden und Nachahmer*innen finden. Die Mordanschläge in Halle, Christchurch, El Paso, Pittsburgh sind weitere Beispiele für die weltweite digitale Vernetzung der Täter*innen. Auch der Attentäter vom Anschlag am Münchener Olympia-Einkaufszentrum war in Kontakt mit einem weiteren späteren Attentäter.
Wenngleich sie ihre Tat faktisch alleine planen und ausführen, agieren sie nicht isoliert. Rechte Communities im Internet ermöglichen die Taten durch gemeinsame Hetze und gegenseitige Bestätigung im menschenfeindlichen Weltbild, bis sich Einzelne legitimiert sehen ein Attentat zu verüben. Bei der Beschaffung von Geld, Waffen und Informationen wird auf die digitale Vernetzung zurückgegriffen. Sie muss als eine alternative Organisierungsform zur klandestin operierenden Terrorzelle begriffen werden.

6 Fortführung mit anderen Mitteln – Rechte Straßengewalt und rechter Terror

Rechter Terror ist eine Form rechter Gewalt, die ein Element der Planung und Zielgerichtetheit voraussetzt. Gemein ist beiden, dass sie ihre Opfer nicht aus individuellen Gründen wählen, sondern als Vertreter*innen einer ideologisch verhassten Gruppe. Beide dienen dazu, die Gruppe der Betroffenen insgesamt anzugreifen und durch eben diese wahllose Bedrohung einzuschüchtern.
Pogrome können als spontanere Praxis rechter Gewalt verstanden werden, die im Erfahrungswissen der Bevölkerung verankert ist. Für die Geschichte rechter Gewalt in BRD und DDR spielt diese Praxis eine tragende Rolle. Was Anfang der 1990er Jahre im sogenannten wiedervereinigten Deutschland, sei es in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mannheim-Schönau oder anderswo, geschah, knüpfte an eine deutsche Tradition an.
Pogromstimmung und ihre Folgen beruhen zumeist nicht auf der situativen Planung einzelner Akteur*innen. Vielmehr bereitet eine vorangegangene Hetze den Boden für die Bereitschaft vieler Normalbürger*innen, sich an den Gewalttaten spontan zu beteiligen. Diese Form der Gewalt entfaltet auf die Betroffenengruppen jedoch eine ähnliche Wirkung wie rechter Terror. Sie verbreitet die Angst, dass man jederzeit attackiert werden könnte, weil man mit gemeint ist. Verständnis der Lokalpolitik für die Gewalttäter*innen und das Wegsehen der Behörden vermitteln darüber hinaus, dass weder Schutz noch Hilfe von der Dominanzgesellschft zu erwarten ist.
Rassistische Mobilisierungen, pogromartige Ausschreitungen und rechter Terror stehen in Wechselwirkung zu einander, wie sich 2016 in Bautzen und 2018 in Chemnitz gezeigt hat. Stimmungsmache gegen Marginalisierte und staatlich tolerierte Straßengewalt bestärken Neonazis darin, einen Schritt weiter zu gehen und sich damit als Speerspitze eines gemeinsamen Kampfes zu inszenieren. Gleichzeitig weisen Terroranschläge denjenigen den Weg in eine radikale Erweiterung rechter Praxis, denen Bürgerinitiativen und Fackelmärsche nicht weit genug gehen. Dabei verschwimmen im rechten Mobilisierungserfolg die Milieus: Aus der Bürgerinitiative werden Neonaziterrorist*innen. So etwa die „Gruppe Freital“, deren Mitglieder Sprengstoffanschläge auf Unterkünfte und Übergriffe auf Unterstützer*innen von Geflüchteten begingen und 2018 als terroristische Vereinigung verurteilt wurden. Oder „Revolution Chemnitz“, die radikalisiert durch die Ereignisse im August 2018 einen Anschlag am 3. Oktober 2018 geplant haben soll und deren Mitglieder derzeit wegen Verdachts auf Gründung einer terroristischen Vereinigung in Untersuchungshaft sind.
Rechte Parteien, rechte Initiativen, rechte Mobilmachungen auf der Straße, rechte Gewalt und rechter Terror müssen zwar unterschiedlich benannt werden, aber sie ziehen alle am selben Strang. Sie kämpfen mit verschiedenen Mitteln, sind jedoch im Ziel vereint: einen faschistischen Gesellschaftsumsturz herbei zu führen, in dem bürgerliche Freiheiten abgeschafft und ungestraft Marginalisierte verfolgt werden können. So entsteht eine Arbeitsteilung, die sich von den Parlamenten, über rechte Medien und die Straße, bis in den Untergrund erstreckt. Die Politik der AfD wäre für den NSU ein vorläufiges Zwischenideal gewesen und die Taten des NSU können Inspiration für einzelne AfD-Mitglieder sein, denen Wahlerfolge doch nicht weit genug gehen.

7. Rassistische Mobilmachung – Gesellschaftliche Dynamiken stützen den Rechten Terror

Die rechte Arbeitsteilung findet nicht losgelöst von gesellschaftlichen Verhältnissen statt, sondern baut auf die Mithilfe der Dominanzgesellschaft. Seit 2013 ist eine rassistisch motivierte Anschlags- und Angriffsserie in Deutschland zu beobachten, die sich zunächst gegen bewohnte wie unbewohnte Geflüchtetenunterkünfte richtete, bevor Geflüchtete zunehmend selbst zum Ziel der Angriffe wurden. Auch wenn die Angriffszahlen im Jahr 2016 ihren Höhepunkt erreichten, ist die Serie bei weitem nicht unterbrochen. So wurden noch 2018 täglich mehr als drei Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte gezählt. Die Täter*innen sind bestärkt durch regelmäßige Übergriffe oder Aufmärsche von Pegida und propagierte Endzeitszenarien. Analog dazu trägt die AfD seit Jahren dazu bei, die Grenzen des Sagbaren immer weiter zu verschieben, findet Raum dazu unter anderem in öffentlich-rechtlichen Talkshows und treibt damit die anderen Parteien diskursiv vor sich her. Außerdem ist die AfD selber lokal und überregional in rechter Strukturarbeit vernetzt. So gibt es auch diverse persönliche Überschneidungen von Mitarbeiter*innen von AfD-Abgeordneten und rechtsterroristischen Kreisen.
Weitreichende Konsequenzen hatte das Auffliegen rechter Terrorzellen wie in Freital und Chemnitz bislang allein im Ausbau der Exekutive. Polizei und Sicherheitsbehörden gewinnen kontinuierlich mehr Kompetenzen und Befugnisse, während ihre eigenen Reihen nicht nur strukturell rassistisch agieren, sondern auch rechte Strukturen wie „Nordkreuz“, „Uniter“ oder „NSU 2.0“ in diesen bekannt werden. Als öffentliche Reaktion folgt auf kurze Wellen der Empörung die Normalisierung. Politische Verschiebungen sind dabei im Sinne der Extremismustheorie und eines kontinuierlichen, autoritären Umbaus des Staatsapparats zu beobachten. Dazu zählen die regelmäßigen Verschärfungen in der Asylgesetzgebung, sowie die Etablierung sogenannter „Ankerzentren“.
Eine weitere Form rassistischer Gewalt zeigt der Staat. Brutale Polizeieinsätze, wie in einer Geflüchtetenunterkunft in Ellwangen im Mai 2018, nachdem Geflüchtete eine Abschiebung verhindert hatten, ist nur das extremste Beispiel der staatlichen Schikane gegen Geflüchtete. Obwohl dieser Einsatz später für rechtswidrig erklärt wurde, blieben auch hier weitere Konsequenzen aus.
Neben diesen offensichtlich zielgerichteten Handlungen politischer Akteur*innen gibt es ebenfalls ein unbewusstes gesellschaftliches Wirken, welches rechten Terror erst so erfolgreich werden lässt. Das Unsichtbarmachen durch die Abwertung der Opfer, die Verharmlosung als entpolitisierte Einzeltäter*innen und die Ermächtigung der Täter*innen durch rechte Diskurse und menschenverachtende Politik bilden einen Rahmen, in welchem die Bedrohung durch rechten Terror ungebrochen fortbesteht. Dazu trägt die Polizei bei, die eher rassistische Ermittlungen gegen die Betroffenen aufnimmt, als ein rechtes Motiv in Betracht zu ziehen. Dazu trägt die Justiz bei, indem sie in den Urteilen rassistische Motive unter den Tisch fallen lässt. Dazu tragen die bürgerlichen Medien bei, mit tendenziöser Berichterstattung und dem Schüren rassistischer Befindlichkeiten. Dazu trägt die Öffentlichkeit bei, die Anschläge auf rassistisch Markierte und andere Marginalisierte nicht als Terror erkennen will. Dazu tragen diejenigen Teile der Linken bei, die lieber für eine rassistische Abschottungspolitik „aufstehen“, als sich konsequent an die Seite der Betroffenen rechter Gewalt und staatlicher Ausgrenzung zu stellen.

8. „Ich will, dass meine Sorgen & Ängste vor der Faschisierung ernst genommen werden!“ anstatt eines „Was tun?!“

Eine der Grundlagen für die Arbeit gegen rechten Terror ist diesen zu erkennen. Das bedeutet für uns einen andauernden Prozess, in dem der eigene Rassismus und die eigene gesellschaftliche Rolle konstant hinterfragt werden müssen. Das ist nicht leicht, aber notwendig, um nicht auf die dauernde Abwehr- und Verschleierungsleistung der Dominanzgesellschaft herein zu fallen, sondern rechten Terror benennen zu können.
Daraus ergibt sich eine der wichtigsten Strategien, die mittlerweile auch weit verbreitet Anwendung findet: Bei jedem gewaltsamen Todesfall einer rassistisch markierten Person gehen wir so lange von einem rassistischen Motiv aus, bis das Gegenteil bewiesen wird. Daran anschließend gilt es mit Demonstrationen, Kleinen Anfragen, oder social media-Aktionen den öffentlichen Druck möglichst hochzuhalten.
Ein nächster Schritt muss sein, die Angehörigen, Überlebenden und Betroffenen nicht mehr allein kämpfen zu lassen, sondern sich an ihre Seite zu stellen. Selbst wenn es keine unmittelbaren Ermittlungen gegen sie gibt, wie es bei den Angehörigen der NSU-Mordopfer der Fall war, lassen es sich Medien und Polizei häufig nicht nehmen, dennoch diskreditierende Gerüchte zu streuen.[13] Dagegen können wir etwas tun, indem wir ihnen eine Bühne bieten, ihre Geschichten und ihre Forderungen hören und weiterverbreiten. Es können Statements geschrieben, Demos und Veranstaltungen organisiert, Öffentlichkeit geschaffen werden.
Dazu gehört auch selber aktiv werden, sich von dem gesellschaftlichen Status Quo, sich von der Macht der anderen und der eigenen Ohnmacht nicht dumm machen zu lassen. Je stärker der Rechtsruck, je geringer die Gegenwehr, je weiter sich Sag- und Machbarkeitsfelder verschieben, desto aktiver müssen wir werden.
Während sich Neonazis bewaffnen, baut der Verfassungsschutz weiter am System der V-Personen, der Quellenschutz steht bei ihm weiterhin an erster Stelle. Wie im NSU-Komplex, ist vom Inlandsgeheimdienst vor allem Verschleierung und Strukturaufbau der Neonazi-Szene zu erwarten. Daher unsere Forderung: Verfassungsschutz auflösen, NSU-Akten veröffentlichen!
Es gilt den rassistischen Normalzustand anzugreifen! Macht politischen Druck, engagiert Euch, organisiert Euch! Gegen rechte Bürgerinitiativen, Polizei- und Asylgesetzgebung und Naziterrorgruppen!


Name it, face it! Rechten Terror bekämpfen!
Bündnis „Irgendwo in Deutschland”
November 2019

[1] Wir sprechen hier von einer Dominanzgesellschaft, um die Machtverhältnisse sichtbar zu machen, die sich entlang von Kategorien wie Migration, race, Geschlecht etc. manifestieren, aber im Begriff der Mehrheitsgesellschaft nicht deutlich werden.
[2] Der Mord an Michèle Kiesewetter wurde erst mit dem Selbstbekenntnis des NSU als rechter Mord eingeordnet und war vorher nicht als Teil der Serie des NSU sichtbar, da andere Waffen verwendet wurden.
[3] Wir sprechen hier von rassistisch Markierten, um deutlich zu machen, dass der rassistische Ausschluss durch die Rassist*innen vollzogen wird und nicht aufgrund gegebener Merkmale automatisch geschieht.
[4] Mit dem Begriff der Autoritären Formierung meinen wir hier sowohl einen Staat, der immer striktere Gesetze gegen Asylsuchende und immer repressivere Maßnahmen gegen Linke durchsetzt, als auch eine Gesellschaft, deren diskursives und politisches Koordinatensystem seit Jahren nach rechts rückt. Die antiliberalen, rassistischen, antisemitischen Tendenzen, die laut Sozialforscher*innen schon immer in der vermeintlichen bürgerlichen Mitte angelegt sind, kommen immer deutlicher zum Vorschein.
[5] Siehe https://kritischesgedenken.de/
[6] Siehe: https://inihalskestrasse.blackblogs.org/
[7] Siehe: https://exif-recherche.org/?p=4399
[8] Siehe: https://taz.de/Schwerpunkt-Hannibals-Schattenarmee/!t5549502/
[9] Auch ein sogenannter lone wolf, also ein*e Rechtsterrorist*in, welche*r nach einer bekannten Anleitung die Tat alleine ausübt, handelt nicht im luftleeren Raum. Das bedeutet auch in solchen Fällen muss nachgeforscht werden: welcher Szene standen sie nahe, woher kamen die Ideologien und die Radikalisierung? In welchen Kreisen bewegten sie sich, welche Internetforen, Fanzines, etc. wurden regelmäßig gelesen.
[10] Bestes Beispiel hierfür ist das Neonazi-Fanzine „Weißer Wolf“, in dem bereits im Jahre 2002, also während der Mordserie, ein Gruß an den NSU zu finden war.
[11] Wissenschaftlich wird hier vom Vigilantismus gesprochen, der sich in drei Formen ausdrückt: Anschläge oder Attentate gegen „Minderheiten-Gruppen“, gegen politische Gegner*innen, oder gegen Vertreter*innen des Staates. In seinem Kern ist der Vigilantismus jedoch systemstabilisierend und damit ideologisch anders begründet als zB. Attentate, die den Tag-X eines rassistischen Bürgerkriegs herbeiführen sollen. Beispiel: Brandstiftung von Escheburg, bei Hamburg, durch einen Finanzbeamten ohne politische Verknüpfung zu rechtsextremen Organisationen oder Parteien. Auch der Mord an Walter Lübcke dürfte in diese Kategorie fallen. Siehe auch: Mathias Quent, Selbstjustiz im Namen des Volkes: Vigilantistischer Terrorismus, https://www.bpb.de/apuz/228868/vigilantistischer-terrorismus
[12] „Die Nazi-Morde sind die Fortsetzung der Pogrome der 90er Jahre mit anderen Mitteln“ cafe morgenland, Redebeitrag auf der Antifa-Demo am 28.01.2012 in Hamburg “Der Tod ist ein Meister aus Deutschland”
[13] So wie im Fall der Ermordung von Burak Bektaş erst im April 2019 geschehen. Siehe: http://burak.blogsport.de/2019/04/18/stellungnahme-von-initiativen-ueberlebenden-und-angehoerigen-zum-artikel-im-berliner-kurier-vom-8-4-2019/