Zur Notwendigkeit antisexistischer Arbeit
Montag, 07:00 Uhr
Der Wecker klingelt, Blick aufs Handy. In der Freundinnen-Chat-Gruppe hat eine nachts Links gepostet und schreibt dazu:
he schaut mal, schon wieder ein Übergriff, dieses Mal in dem Hausprojekt in Erfurt.
Ich öffne Instagram, 5 Nachrichten im Postfach:
schau mal, dieser Typ aus Thüringen, wohnt der nicht jetzt in Leipzig? Du hast doch Freunde, die da wohnen, kannst du mal nachfragen?
Schau mal, der Outcall… ich pack das nicht mehr.
Hey, ich muss ne Social Media Pause machen, ich geh kaputt.
Du, mir ist am Wochenende was Schlimmes passiert.
Hallo, sag mal du hast doch schon mal U-Gruppen-Arbeit gemacht, wir versuchen gerade, Lisa zu unterstützen, kannst du dir vorstellen, dazu zu kommen?
Ich lasse die Nachrichten erstmal unbeantwortet, gehe auf den Balkon und atme.
Auf dem Weg zu Arbeit radle ich in Connewitz am Pivo vorbei, am Willsons. Wütende Genoss*innen haben dort nachts ihre Meinung zu sexualisierter Gewalt an die Wände gepappt. Ich höre innerlich schon die Gespräche in den Kneipen “Ja also das ist schon auch nicht okay, was da passiert ist, aber er hat sich ja entschuldigt” “Ey der ist damit Selbstständig und verliert seine Existenz” “Militanz bringt uns auch nicht weiter”.
Sofort wird mein Magen flau.
Ich packs nicht mehr, Leute.
Auf Arbeit erzählt mir meine Kollegin von einem brutalen Überfall in ihrer Heimatstadt in Sachsen-Anhalt bei dem Faschos eine schwangere Frau aus Eritrea verprügelt haben.
In meiner Facebook-timeline steht antisemitischer Scheiß vom großen Austausch und wie Frauen, Feminist*innen und Juden Schuld daran seien.
An diesem Tag werde ich noch 2 mal auf der Straße gecatcalled und im Fitti blöd angeglotzt. Beim Plenum fällt mir ein Genosse wiederholt ins Wort, denkt, sein anschließendes knappes “Sorry, dass ich dich unterbreche, aber…” würde das entschuldigen.
Zuhause berichtet mir meine Mitbewohnerin von einem ersten Date mit einem Mann, der links organisiert ist und irgendwann nicht mehr aufhören konnte, mit seinen Heldentaten als linker Antifakrieger zu prahlen. Er schwafelte von ersten Kämpfen als Jungantifa aufm Dorf, schwärmte dann vom “krassen” G8 Gipfel “damals in Heiligendamm” (“da gabs noch geile Sportgruppen”) und erzählt schließlich von der letzten Auseinandersetzung, bei der man es dem besoffenen Sexisten vom Nachbartisch so richtig gegeben hätte.
Und mit einem Funkeln in den Augen erklärte er ihr wie wichtig er es fände, dass Männer doch auch endlich mal über ihre Gefühle und Ängste reden würden. Wie sie das als Frau finde, fragte er meine Freundin. Ihre Antwort musste er natürlich nicht abwarten – es tue so gut, einfach mal mit jemandem reden zu können.
Abends lese ich einen Text dazu, warum die kritische Männlichkeitsgruppe in Leipzig gescheitert ist. Spoiler: es lag an den Männern :o)
Ich kenne keine weiblich gelesene oder queere Person in meinem Freundeskreis, die nicht schon einmal gegen ihren Willen angefasst, krass beleidigt wurde oder der schlimmeres passiert ist.
Ich packs nicht mehr, Leute.
Als wir gelesen haben, dass die Genoss*innen von Rassismus tötet eine große Gedenkdemonstration zu Opfern von rechter Gewalt organisieren, war klar: wir wollen teilhaben. Wir wollen teilhaben, weil wir als feministische Antifagruppe darauf angewiesen sind, dass engagierte Genoss*innen seit so vielen Jahren schon aktive Politik gegen Faschos machen, und unermüdlich und aufopfernd arbeiten. An dieser Stelle möchten wir der Orga ganz herzlich danken. Wir sehen, was ihr wuppt. Umso mehr hat es uns gefreut, dass heute hier so viele verschiedene Stimmen vereint werden können, im Kampf gegen rechte Gewalt und Diskriminierung.
Als feministische Antifagruppe kommen wir allerdings nicht umhin, auch etwas zum Thema Antifeminismus zu sagen.
Wie eingehend beschrieben sind Flint* täglich mit Sexismus und Übergriffen konfrontiert.
Doch auch die Statistiken sprechen für sich: Von den gezählten 276 Menschen, die 2019 von der Opferberatung RAA in Sachsen nach einem Angriff beraten wurden, waren fast die Hälfte Frauen und Menschen, die sich nicht binär verorten. So treffen rassistische, antisemitische, homofeindliche und rechte Übergriffe auch Frauen, Lesben, Trans, Inter, Non-Binary und queere Menschen. Die Zahlen zeigen einmal mehr, wie sehr Körper, Sexualität und Geschlechterrollen oder die Ablehnung pluraler Familien- und Lebensformen vereinende Themen für patriarchale Dominanz, gesellschaftliche Normierung und wieder mehr denn je rechter und völkischer Ideologien und religiöser Fundamentalismen sind.
Was haben die Täter alle gemeinsam? Wo treffen sich Maskulinisten, Rassisten, Faschos jeder Coleur und egal ob im Parlament oder in der Kameradschaft organisiert, Abtreibungsgegner, antisemitische Incels, eifersüchtige mordende Expartner? In kollektivierter und organisierter Misogynie und Gewalt.
Wir alle, die heute hier sind, kennen diese Fälle. Wir kennen sie, wir kennen die Zahlen. Wir beobachten besorgt und kämpferisch den rechten Backlash unserer Gesellschaft. Wir erleben die sexistischen Übergriffe und die patriarchalische Zurichtung an unseren eigenen Körpern und Identitäten. Wir erleben Einschränkungen in unserer Autonomie: vom Recht auf Abtreibung bis zum Recht darauf, uns selbstbestimmt und friedlich zu trennen, oder nachts alleine und unbeschadet joggen gehen zu können!
Wir haben uns heute dem Block gegen Femizide angeschlossen, um die in Deutschland noch recht neue Debatte um geschlechtsbasierte Morde zu unterstützen. Denn eine von vielen Ursache für Morde an Frauen und Queers sind männliche Dominanz und Besitzdenken von Männern und der Gesellschaft.
Warum erzählen wir von unserem Montag, vom Alltagssexismus, von Opferberatungszahlen und von Femiziden? All diese Dinge haben etwas gemeinsam: sie haben Männlichkeit als Ursache. Dass Kapitalismus, das Patriarchat, Rassismus, die AfD und… naja die Liste ist lang- beschissen sind, abgeschafft und konsequent bekämpft gehört und warum das so ist, das wissen die meisten.
Als feministische Antifagruppe kommen wir aber einfach auch nicht umhin, die Chance hier zu nutzen, einen Appell an die männlichen Genossen hier zu richten.
Du bist gefordert!
aktivistisch, profeministisch und unerschrocken sollst du sein.nnicht nur individuell, sondern auch kollektiv: fordere dich selbst, und auch deine männlichen Freunde.
Es geht uns nicht nur um einen Privilegien-Check oder um Reflektion.
Du musst begreifen:
Für manche Flint* geht es ums nackte Überleben im tödlichen Patriarchat.
Versteck dich nicht hinter Floskeln wie “Ich respektiere Frauen” “Fußballfans gegen Homophobie” oder “Sexisten aufs Maul”. Angesichts der Häufung der öffentlich thematisierten Vorfälle in innerlinken Strukturen, aber auch allen Fällen, die in der Gesellschaft passieren sagen wir dir heute: Antisexismus ist keine Option mehr, kein Thema, was du optional bearbeiten kannst.
Eine Auseinandersetzung mit Männlichkeit erfordert kontinuierliche Arbeit und Selbstkritik, die sich an konkreten Widersprüchen abarbeitet und sie annimmt.
Wir wissen, wie hart die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten und dem Denken sein kann. Das wissen wir, weil wir sie in unseren feministischen Gruppen jeden Tag, in unserem Alltag jeden Tag verhandeln müssen.
Wir packen das nicht alleine.
Wir wollen aber auch nicht darum bitten, wir wollen euch Feminismus nicht schmackhaft machen oder alles erklären. Die Ressourcen habt ihr selbst, Generationen an Profeministischen Männer-Antifagruppen haben vor euch schon zu dem Thema gearbeitet,das Internet ist voller Texte und Dokumente. Alle Gruppen, in denen Männer aktiv sind, müssen zu Antisexismus und Männlichkeitskritik arbeiten. Antisexismus muss von dort aus in die Gesellschaft hineingetragen und eingefordert werden. Solange die Auseinandersetzung mit Männlichkeit isoliert von feministischen Kämpfen und der Frage nach der konkreten Rolle von Männern darin stattfindet, bleibt sie etwas, das Männer mit zweifelhaften Motiven tun und lassen können, wie es ihnen beliebt.
Auseinandersetzung mit Sexismus, in eigenen Strukturen und in der Gesellschaft ist ein Mindestmaß an Anforderung, was wir an euch, an die männlichen Genossen, die hier zuhören, stellen. Nur wenn ihr selbst aktiv werdet, einschreitet, diskutiert, euch selbst als profeministisch bezeichnet und auf dieses Ideal hinarbeitet, können wir auf unsere gemeinsame Vorstellung von Gesellschaft, auf unsere Utopie, auf unser herrschaftsfreies Zusammenleben hinarbeiten, Seite an Seite.