Stilles Gedenken an Karl-Heinz Teichmann

Wir rufen auf, am 6. September 2023 für Karl-Heinz Teichmann, ein Todesopfer rechter Gewalt in Leipzig, anlässlich seines 15. Todestages Blumen abzulegen. Abgelegt werden können die Blumen am Schwanenteich hinter der Leipziger Oper an einer Parkbank.

Ab 18 Uhr laden wir dazu ein, gemeinsam zu gedenken und sich auszutauschen.

Wir erinnern an Karl-Heinz Teichmann und die Hintergründe des rechten Mordes.

Wir fordern, dass der Mord an Karl-Heinz Teichmann endlich offiziell als rechtsmotiverte Tat von staatlicher Seite anerkannt wird.

Wir wollen wissen, ob es jemals Konsequenzen oder eine Aufarbeitung innerhalb des Polizeireviers in der Ritterstraße gegeben hat.

Der Mord 2008 in Leipzig

Karl-Heinz Teichmann wird nur 59 Jahre alt. Gleich mehrfach wird er in der Nacht zum 23. August 2008 von dem Neonazi Michael H. in der Leipziger Innenstadt verprügelt. Zwei Wochen später stirbt Karl-Heinz Teichmann an seinen schweren Verletzungen.

In der Tatnacht liegt Karl-Heinz Teichmann schlafend auf einer Parkbank am Schwanenteich hinter der Oper. Der 18-jährige Michael H. und ein Begleiter durchkreuzen den Park. Sie befinden sich auf dem Rückweg von einem Neonaziaufmarsch. Unter dem Motto “Todesstrafe für Kinderschänder” waren im Leipziger Osten hunderte Neonazis aufmarschiert. Michael H. erblickt den schlafenden Teichmann und schreit ihn an, dass er „hier nicht schlafen“ solle. Dann versetzt er ihm einen Faustschlag und springt ihm ins Gesicht. Zusammen mit seinem Begleiter verlässt er den Ort des Geschehens, um eine halbe Stunde später zurückzukehren und abermals auf Karl-Heinz Teichmann einzuprügeln.

In den Morgenstunden entdeckt eine Passantin den schwerverletzten Karl-Heinz Teichmann. Im nahe gelegenen Polizeirevier will sie die Beamt*innen informieren. Auf ihre an der Gegensprechanlage geäußerte Meldung gibt es erstmal keine Reaktion. Sie wird nicht hereingebeten und muss auch ihre Personalien nicht angeben. Erst anderthalb Stunden später sucht die Polizei Karl-Heinz Teichmann am nur 200 Meter entfernten Tatort auf.

Im Krankenhaus werden massive Kopfverletzungen, Prellungen am ganzen Körper, Brüche im Gesicht, eine Halswirbelfraktur und Hirnblutungen festgestellt. Mit mindestens sieben Tritten gegen den Oberkörper und etwa zwanzig Schlägen malträtierte Michael H. sein Opfer, so ein medizinisches Gutachten.

Vor dem Landgericht Leipzig erklärt der Staatsanwalt, Karl-Heinz Teichmann habe nichts getan „außer nachts im Park zu schlafen“. Sein Mörder habe ihn „zum bloßen Objekt degradiert“. Der Vorsitzende Richter Norbert Göbel hält es jedoch nicht für nötig, dem sozialdarwinistischen Tatmotiv nachzugehen, obwohl selbst der Verteidiger des Täters von einem rechten Motiv seines Mandanten ausgeht. Am 27. März 2009 verurteilt das Leipziger Landgericht Michael H. wegen „heimtückischen Mordes“ zu einer Jugendhaftstrafe von acht Jahren und drei Monaten. Sein Begleiter wird nicht strafrechtlich belangt. Die Polizei stuft den Mord nur als „normale Straftat unter Alkoholeinfluss“ ein.

Karl-Heinz Teichmann ist bis heute nicht als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.

“… wenn das dann im Urteil überhaupt keinen Niederschlag mehr findet, dann ist das falsch verstandener Lokalpatriotismus. Dann versucht hier die Justiz Schaden von Leipzig abzuhalten, indem sie unterdrückt, dass hier eine Tat aus rechter Gesinnung begangen wurde.” sagt Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen im MDR Exakt Beitrag vom 11.08.2009

Daher fordern wir die offizielle Anerkennung des Mordes an Karl-Heinz Teichmann als rechtsmotiverte Tat.

Wohnungslose werden von Staat und Gesellschaft ausgegrenzt. Rechte Täter*innen praktizieren gegen wohnungslose Menschen einen Sozialdarwinismus der Tat, der durch einen Sozialdarwinismus des Wortes vorbereitet wird. Offenbar steht die Gewalt gegen Wohnungslose und sozial Schwache im unmittelbaren Zusammenhang mit gesellschaftlichen Klima und einer kapitalistischen Verwertungslogik. Gewalt gegen Wohnungslose ist leider immer noch Alltag. Vor allem jene Menschen, die ohne Unterkunft auf der Straße leben und somit über keinen privaten Rückzugsraum verfügen, werden immer wieder Opfer von menschenverachtenden Angriffen.

Mehr als 2.200 Fälle umfasste im April 2020 die Gewaltstatistik der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe – 565 davon mit tödlichem Ausgang. Diese Zahlen sind schockierend und ein Großteil der Taten wird überhaupt nicht erfasst. Viele werden aufgrund von fehlendem Vertrauen in die Ermittlungsbehörden oder aus Angst vor der Rache der TäterInnen gar nicht erst zur Anzeige gebracht und Medien berichten zudem nur über ausgewählte Fälle. Nach der öffentlichen Empörung verhallen dann schnell die Forderungen nach Aufklärung, Zivilcourage und Schutzräumen. Zurück bleiben die Opfer, deren Angehörige, Freunde und Bekannte sowie alle wohnungslose Menschen, in dem Wissen, dass sie nahezu immer und überall angegriffen, verletzt und getötet werden können.

Was meinen wir mit Sozialdarwinismus

Heutzutage wird der Begriff zur Bezeichnung von menschenverachtenden Perspektiven verwendet. Dabei ist die ehemalige sozialwissenschaftliche Therorie eine unkritische und fehlerhafte Übertragung von biologischen Gesetzmäßigkeiten, abgeleitet aus den Theorien Charles Darwins, auf menschliche Gesellschaften. Im Sozialdarwinismus werden gesellschaftliche Randgruppen – etwa Wohnungslose, Sozialhilfeempfänger*innen oder Menschen mit Behinderungen – als „minderwertig“ oder überflüssige oder als Menschen, die der Gesellschaft Kosten verursachen, ohne ihr zu nutzen, abqualifizieren.
Sozialdarwinismus ist ebenso ein Merkmal politisch rechts motivierter Gewalt.


Stilles Gedenken am 6. September 2023, 18 Uhr, Schwanenteich hinter der Leipziger Oper.