Redebeitrag von „Initiative kritisches Gedenken Erlangen“ auf der Demo am 24.10.2020

Am 22. August kam in Hamburg eine Serie von Brand- und Sprengstoffanschlägen, verübt von der Neonaziorganisation Deutsche Aktionsgruppen, zu ihrem traurigen Höhepunkt. Bei dem Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in der Hamburger Halskestraße kamen Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân ums Leben. Einen Monat später deponierte Gundolf Köhler eine Bombe auf dem Münchner Oktoberfest. Die Detonation riss 12 Menschen und den Täter in den Tod; über 200 weitere wurden verletzt. Köhler war mit der Wehrsportgruppe Hoffmann und der Wiking-Jugend assoziiert. Am 19. Dezember desselben Jahres wurden Shlomo Lewin und Frida Poeschke in ihrer Wohnung von Uwe Behrendt erschossen. Behrendt war rechter Burschenschafter und führendes Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann.

Diese Anschläge jähren sich dieses Jahr zum 40. Mal. Gemeinsam mit Gruppen aus München und Hamburg führen wir aus diesem Anlass die Kampagne “Mehr als 40 Jahre – Kontinuitäten rechten Terrors in Deutschland”. Mit der Kampagne thematisieren wir zum einen, dass den Anschlägen von 1980 eine lange Geschichte der neonazistischen Organisierung vorangeht. Zum anderen aber, dass diese Taten keine Sache der Vergangenheit sind. Seit 1945 wurden in den Nachfolgestaaten des nationalsozialistischen Deutschlands mehrere hundert Menschen durch rechten Terror getötet. Diese Kontinuität reicht bis heute.

Ein weiteres Datum in der langen Geschichte des rechten Terrors ist der 24.10.2010. An diesem Tag wurde Kamal K. in Leipzig von Neonazis erstochen. Der Haupttäter Marcus Eckardt wurde zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Auch die Attentäter*innen von Hamburg gingen lange in den Knast. Gundolf Köhler und Uwe Behrendt kamen während oder kurz nach ihren Attentaten zu Tode. Entscheidend ist dabei, dass das alles nicht dazu geführt hat, dass der rechte Terror aufgehört hat. Das ändert nichts daran, dass die Forderungen absolut berechtigt sind, alle dem Staat verfügbaren Ressourcen dafür einzusetzen, Nazistrukturen zu zerschlagen und rechte Strukturen und Gewaltverbrechen schonungslos aufzuklären, bis in die Sicherheitsbehörden hinein. Allerdings reicht das nicht aus. Sabrina, eine Überlebende des Anschlags in Halle hat es folgendermaßen ausgedrückt: „Das Problem, das Migrant*innen, Linke, Feminist*innen und Jüdinnen*Juden in Gefahr bringt, ist immer noch da. Auch wenn dieser eine Mann ins Gefängnis kommt.“ Um dieser Gefahr entgegenzuwirken braucht es eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit Antisemitismus, Rassismus, Antiziganismus, Sexismus und Antifeminismus – ein Teil davon ist das Gedenken an rechte Morde.

An dem Ort des Oktoberfestattentates wurde bereits ein Jahr nach dem Anschlag ein Gedenkort eingerichtet. Bis die Namen der Opfer dort angebracht wurden, dauerte es sieben Jahre. Bis dort der politische Hintergrund des Anschlags und die Mängel der Ermittlungsarbeit dort thematisiert wurden, vergingen weitere 30 Jahre. 30 Jahre dauerte es auch in Erlangen, bis nach langem Schweigen ein offizielles Gedenken an Shlomo Lewin und Frida Poeschke einsetzte. Auch an dem Gedenkort in Erlangen bleibt der rechtsterroristische Hintergrund der Tat jedoch unsichtbar. In der Hamburger Halskestraße erinnert bis heute nichts an die Ermordung von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân. Hier in Leipzig wurde das Gedenken an Kamal K. und alle anderen Opfer rechter Gewalt von städtischer Seite eher torpediert, als aktiv unterstützt.

Ohne die Arbeit von antifaschistischen Gruppen, Angehörigen und Einzelpersonen, wäre die mehrmalige Erneuerung der immer wieder zerstörten Plakette nicht möglich gewesen.
 
Was Hamburg, München und Erlangen mit Mölln, Nürnberg, Leipzig, Halle und Hanau verbindet istnicht nur, dass all diese Städte Tatorte des rechten Terrors wurden, sondern auch dass dort und überall in Deutschland Betroffene rechter Gewalt, ihre Angehörigen und antifaschistische Initiativen dafür sorgen, dass die Opfer rechter Gewalt nicht in Vergessenheit geraten. Und auch dafür, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse offen benannt werden, unter denen sie zu Opfern gemacht wurden und die sie Opfer haben werden lassen. Das ist auch Ausdruck der Erkenntnis, dass wir uns im Kampf gegen rechten Terror nicht auf den Staat verlassen können: Weder hinsichtlich des präventiven Schutzes und der nachträglichen Unterstützung von Betroffenen rechter Gewalt, noch in der Aufklärung und öffentlichen Erinnerung der Taten. Deshalb ist antifaschistisches und kritisches Gedenken ein wichtiger Anteil im Kampf gegen den rechten Terror – ebenso wie im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Misogynie. Es legt den Finger in die Wunde und lässt den Glauben nicht zu, dass irgendetwas in Ordnung wäre.

Für diesen Kampf müssen wir die Vernetzung zwischen Betroffenen, Angehörigen und Antifaschist*innen vorantreiben um solidarische Strukturen zu schaffen. Wir müssen uns gegenseitig darin unterstützen, die Geschichte des rechten Terrors und seiner Opfer überall sichtbar zu machen, aber auch darin, dafür zu sorgen, dass diese Geschichte ein Ende hat.

In Gedenken an Kamal K. und alle Opfer rechter Gewalt! Gegen das Vergessen und die Kontinuität des rechten Terrors!

ENGLISH VERSION

On the 22nd of August 1980 a series of arson and explosive attacks committed by the neonazi organization „Deutsche Aktionsgruppen“, came to a brutal end in Hamburg. The racist attack on a refugee shelter, located on Halskestraße, took the lives of Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân. Only one month later on September 26th a bomb, planted by the Neo-Nazi Gundolf Köhler, detonated at the Munich Oktoberfest and killed 12 people. Over 200 people were injured. On December 19th Shlomo Lewin and Frida Poeschke were shot in their home in Erlangen. The perpetrator of the antisemitic murder, Uwe Behrendt, was a leading member of the Neo-nazi organization Wehrsportgruppe Hoffmann, a group Munich attacker Gundolf Köhler was also associated with.

The year 1980 marks a high point in the history of right-wing terrorism in Germany, but the terror never stopped. October 24th 2010 is another date which is part of this long history. On this day Kamal K. was stabbed to death by a known Neo-Nazi in Leipzig. The fact that all of these neo-nazi killers are either dead or served long jail times, but the terror still continues to this day, shows that these are not isolated incidences.

To stop the continuity of right-wing terrorism and violence, it is not enough to remove the culprits from society. Society itself needs to confront racism, antisemitism,antiziganism, sexism and antifeminism. Remembering right wing murders and commemorating its victims needs to be a part of this process.
Hamburg, Munich and Erlangen are not only connected to other cities like Mölln, Nürnberg, Leipzig, Halle and Hanau because these are all places where right wing terror attacks happened. They are also connected, because in all of these places people that were affected by right wing violence, their family members and friends, as well as antifascist groups are fighting for the victims of right wing violence not to be forgotten.

They make sure, that the social conditions that made them victims or allowed for their victimization, are not overlooked. Constantly we are reminded, that in the fight against right-wing terror, we cannot rely on the state and its institutions. For this struggle we need to unite our efforts and create solidary networks of  people affected by right-wing violence, their relatives and antifascist groups. We need to support each other in our efforts to make the history of right-wing terrorism visible and to finally bring it to an end.

In rememberance of Kamal k. and all victims of right-wing violence! Against the forgetting and the continuity of right-wing terrorism!

Initiative kritisches Gedenken Erlangen