Redebeitrag für Demo in Zwickau

Seit nunmehr 10 Jahren haben wir die Gewissheit, dass Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat dem mörderischen Rassismus des NSU zum Opfer fielen. Auch die Polizistin Michelle Kiesewetter wurde durch die Rechtsterrorist*innen getötet.

Nun ist es 10 Jahre her, dass Mundlos und Böhnhardt sich am 04.11.2011 nach einem gescheiterten Banküberfall erschossen und Zschäpe anschließend ihre gemeinsame Wohnung in Brand setzte, tagelang durch die Republik irrte, die Propaganda des NSU verteilte und sich schließlich selber den Behörden stellte. Ermöglicht wurde das jahrelange Morden durch ein breit gefächertes Helfer*innen-Netzwerk, dessen Mitglieder weitestgehend bis heute unbehelligt agieren können. Behörden wie die Bundesanwaltschaft, Polizei und Verfassungsschutz zeigen auch weiterhin keinerlei Interesse daran etwas zu ändern. Die versprochene Aufklärung, sowie Antworten auf die Fragen der Betroffenen des rechten Terrors und der rassistischen Ermittlungen, hat es bis heute nur kaum gegeben.

“Der Schmerz wird größer, nach 21 Jahren”, weil “die Fragen bleiben”.

Warum ihr Vater? – “Ich habe darauf noch keine Antwort” sagte Semiya Şimşek am 21. Jahrestag des Angriffes auf ihren Vater in diesem Jahr.

“Es muss in jeder Stadt Helfer des NSU gegeben haben, daran glaube ich fest. Wenn wir nicht in diese Richtung ermitteln, dann kommen wir nicht weiter. Es wird immer wieder rassistische Fälle geben – wie Hanau. Es gibt in Deutschland ein großes Problem.”, sagte sie am 9. September 2021

Das sich der NSU selbstenttarnen konnte, ist kein Zufall: Durch das jahrelange Verdrängen, Verharmlosen und Unterstützen rechter Strukturen, konnte der NSU entstehen und gedeihen. Während bereits im Sommer 2006 Angehörige und migrantische Communities auf Großdemonstrationen in Kassel und Dortmund forderten “9 Opfer – Wir wollen kein 10. Opfer. Stoppt die Mörder”, konzentrierten sich Strafverfolgungsbehörden, Medien und Gesellschaft darauf eine Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben und die Angehörigen und Überlebenden zu drangsalieren. Auch die radikale Linke hatte diesem Narrativ nicht wahrnehmbar etwas entgegenzusetzen und scheiterte selbst daran, die rassistischen Motive zu erkennen.

Rechter Terror in Kaltland

Oktoberfestattentat, der antisemitische Doppelmord in Erlangen, der rassistische Brandanschlag in der Hamburger Halskestraße, die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen, Mannheim-Schönau und Hoyerswerda und die rassistischen Brandanschläge bsp. in Mölln, Sollingen und Lübeck sind Teil der Geschichte rechten Terrors und seiner verdrängten Kontinuität. Der NSU reiht sich ein in diese lange Tradition und lässt sich ohne diese nicht verstehen: Die rassistische Mobilmachung der Nachwendejahre, das Erstarken rechter Strukturen in Ost und West und die fehlende Strafverfolgung rechter Gewalt der 90er Jahre vermittelte den Täter*innen die Sicherheit, als Vollstreckende des Volkswillens legitimiert zur Tat schreiten zu können.

Rechter Terror ist längst Normalzustand. Er zeigte sich besonders deutlich in den vergangenen Jahren: Hanau 2020, Halle 2019, der Mord an Walter Lübcke 2019, der Anschlag auf das OEZ in München 2016 und mehrere hundert Todesopfer rechter Gewalt nach 1990, sind die drastischste Konsequenz des rassistischen Normalzustandes. Die Liste ließe sich erweitern um den NSU 2.0, die Gruppe Freital oder die fast täglich neuen Meldungen über das Auffliegen rechtsterroristischer Gruppen und Strukturen in Polizei und Militär. Die Kontinuitäten rechten Terrors in Deutschland zeigen auch den Fortbestand des Zusammenspiels der Sicherheitsbehörden mit rechten Netzwerken auf.

Und immer wieder geht es um Sachsen. In Zwickau konnte der NSU jahrelang unbehelligt und bestens integriert wohnen und das Morden planen und umsetzen. Dennoch verwehrt sich die Stadt bis heute gegen eine konsequente Aufklärung der Taten und die Aufarbeitung der Rolle der Stadt in Bezug auf den NSU. Dabei wohnen Personen aus dem Unterstützer*innen-Netzwerk, wie beispielsweise André Eminger, noch heute in Zwickau und Umgebung. Abseits von kleinen Aktivist*innengruppen findet Gedenkarbeit in Zwickau nicht statt. Gerade in Zwickau waren Antifaschist*innen in den letzten Jahren von einer massiven Gewalt und Bedrohungslage durch rechte Strukturen ausgesetzt.

Wir freuen uns, dass heute so viele Menschen in Leipzig auf der Straße sind und wir wünschen uns eine kämpferische Demo. So sehr wir im Aufruf für diese Demo das Bekenntnis zum antifaschistischen Selbstschutz und die Solidarität mit allen Betroffenen des rechten Terrors begrüßen – deswegen stehen wir auch hier – so sehr vermissen wir einen klaren Bezug zum militanten Antifaschismus. Auch dieser ist notwendig und legitim, eine Distanzierung halten wir für falsch. Militanter Antifaschismus ist auch in Leipzig und anderen Großstädten notwendig, jedoch dürfen wir dabei nicht vergessen, dass er auch in der Provinz und in Kleinstädten wie z.B. Eisenach, Wurzen und Zwickau unerlässlich ist. Wir rufen euch daher dazu auf mit uns am 6. November nach Zwickau zu kommen. Lasst uns zusammen den Opfern rechter Gewalt gedenken, die rassistische Kontinuitäten aufzeigen und lasst uns gemeinsam die Täter von morgen bekämpfen.

In Leipzig treffen wir uns zur gemeinsamen Reise am 6. November um 12:30 Uhr am S-Bahnhof Connewitz. Organisiert euch und lasst die Faschos nicht in Ruhe. Freiheit für alle Antifaschist*innen! Wir sind alle 129er!