Unser Gastkommentar zur faktischen Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl im Stadtmagazin Kreuzer

Auch 20 Jahre nach dem Asylkompromiss haben Flüchtlinge noch mit dessen Folgen zu kämpfen.

Die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl jährte sich am 26. Mai bereits zum 20. Mal. Der Grundgesetzänderung im Jahr 1993 ging eine Welle von rassistischen Übergriffen und Anschlägen voraus. Die durch Medien und politische Stichwortgeber aufgeheizte gesellschaftliche Stimmung machte schließlich den Weg frei für den tiefgreifendsten Einschnitt in die deutsche Asylgesetzgebung. Die notwendige Zweidrittelmehrheit zur Änderung des Grundgesetzes gewährleisteten die Stimmen von CDU/CSU, der FDP und der SPD.

Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass die Abschaffung des Artikel 16 des Grundgesetzes eine Notmaßnahme war, um „Wirtschaftsflüchtlingen“ Einhalt zu gebieten oder die Bevölkerung, die den brandschatzenden Nazis zum Teil zujubelte oder sich wie in Rostock oder Hoyerswerda an Angriffen beteiligte, zu beruhigen. Tatsächlich hatten CDU/CSU und SPD weit vor 1993 systematisch an an der faktischen Abschaffung des Asylrechts gearbeitet und an der rassistischen gesellschaftlichen Stimmung mitgewirkt. Ein wesentliches Instrument dafür war das Asylverfahrensgesetz, das den Artikel 16 konkretisiert. Dessen Einführung 1982 durch die SPD brachte neben Erschwernissen beim Zugang zum Asylrecht auch erhebliche Verschlechterungen der Lebenssituation von Asylsuchenden mit sich, wie etwa die Residenzpflicht, Regelunterbringung in Sammelunterkünften, Einschränkung der Arbeitsmöglichkeiten und die Ausgabe von Sozialleistungen in Form von Sachleistungen.

In den 80er Jahren entdeckten rechte Parteien das Thema Asyl als Schwerpunkt für politische Kampagnen. Die Union stimmte in diese Hetzjagd ein und startete 1986 eine demagogische Kampagne gegen die angebliche „Asylantenflut“. Spätestens in diesem Kontext war der Ruf nach einem grundlegenden Schlag gegen das Grundrecht auf Asyl folgerichtig und gerann zur politischen Forderung der Konservativen.

Der Asylkompromiss von 1993 fasste die Einschränkungen der Vorjahre zusammen und trieb sie mit der Einschränkung des vormaligen Asylrechtsartikels auf die Spitze. „Politisch Verfolgte genießen“ seither nur noch „Asylrecht“, wenn sie nicht über einen sicherer Drittstaat einreisen. Bekanntlich ist Deutschland von sicheren Drittstaaten umgeben, was eine legitime Einreise für Schutzsuchende de facto nur mit dem Flugzeug ermöglicht. Hinzu kommt das Prinzip der „sicheren Herkunftsstaaten“. Derzeit will Bundesinnenminister Friedrich unter Berufung auf diese Regelung Mazedonien und Serbien als sichere Herkunftsstaaten definieren und damit Schutzsuchenden, insbesondere Roma, den Zugang zum Asylrecht in der BRD verwehren.

Als weiteren Schlag gegen das Asylrecht als humanitäres Prinzip und Lehre aus dem Nationalsozialismus umfasst der Asylkompromiss das Asylbewerberleistungsgesetzes, das die eingeführten Einzelmaßnahmen und zusätzliche Einschränkungen der Sozialleistungen in einem Gesetzestext vereint. Erst im vergangenen Jahr wurden die im Gesetz festgeschriebenen Sonderleistungen für Asylsuchende für verfassungswidrig erklärt. Der von der Bundesregierung vorgelegte Referentenentwurf zur Neuregelung des Gesetzes schreibt abgesenkte Sonderleistungen für bestimmte Gruppen von Asylsuchenden, die Beibehaltung des Sachleistungsprinzip und die unzureichende gesundheitliche Versorgung fort.

Ein eisiger Wind weht Asylsuchende auch heute noch entgegen, sowohl auf institutioneller Ebene als auch im Alltag. Das rassistische Gerede von vermeintlichem „Asylbetrug“ oder „Wirtschaftsflüchtlingen“, die „abgewehrt“ werden müssen, steht wie vor 20 Jahren hoch im Kurs und wird flankiert von geistigen Brandstiftern wie Thilo Sarrazin.

Auf der anderen Seite ist seit dem vergangenen Jahr eine neue antirassistische Offensive in Gange, die zum großen Teil von Geflüchteten selbst getragen wird und sich gegen alle Facetten der rassistischen Realität wendet. Der in diesem Rahmen organisierte Refugee-March, der im Sommer von Würzburg auch über Leipzig nach Berlin führte oder das Protestcamp auf dem Oranienplatz in Berlin sind Beispiele dafür. Es ist wichtig diese Kämpfe und Widerstand, der auch im Kleinen stattfindet, zu unterstützen und rassistischer Diskriminierung seine institutionelle Grundlage zu nehmen.

erschienen im Kreuzer 6/2013