Statement zur Absage der Teilnahme an der Veranstaltung „Allein unter Flüchtlingen“ (03.05.2017, Conne Island) mit Tuvia Tenenbom

Wie am 03.05. angekündigt, folgt im Weiteren eine Erklärung, weshalb wir uns entschieden haben, die Lesung mit Tuvia Tenenbom nicht mehr umzusetzen. Dabei wollen wir auf nachstehende Punkte eingehen:
  • Intention der Veranstaltung
  • Umgang mit der Information, dass Tuvia Tenenbom am 06.05. in Schnellroda auftritt
  • Anstatt der Lesung: Gespräch mit Tuvia und Isi Tenenbom
 
Intention der Veranstaltung
 
In den vergangenen Jahren haben wir als Gruppe bereits zwei Lesungen mit Tuvia Tenebom veranstaltet. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit seinen Büchern war für uns jedes Mal interessant und konstruktiv. Auch mit dieser Lesung und Diskussion, somit der Präsentation des Buches „Allein unter Flüchtlingen“, erhofften wir uns einen Austausch zu zentralen Punkten seines Berichts.
 
Da wir als Gruppe bereits umfangreich zum Thema Asyl und der Situation von Geflüchteten in Deutschland gearbeitet haben, waren wir auf die Perspektive von Tuvia Tenenbom gespannt. Insbesondere die reale Bedrohung Geflüchteter innerhalb einer rassistischen Mehrheitsgesellschaft und das Leben der Betroffenen unter menschenunwürdigen Bedingungen waren für uns zentrale Ansatzpunkte. 
 
Tuvia Tenenbom fokussiert in seinem Buch den Widerspruch zwischen sogenannter „Willkommenskultur“ und der realen Asylpolitik. Der formulierte Widerspruch ist jedoch nur ein scheinbarer. Tenenbom erkennt dies und versucht ein Ungleichgewicht zwischen dem Anspruch des „Wir schaffen das!“ und den bestehenden Zuständen in Asylunterkünften sowie der deutschen Politik aufzuzeigen. Wir teilen seine Einschätzung, dass vielen Menschen der menschenverachtende Umgang mit Asylsuchenden in Deutschland und Europa ziemlich egal ist und gerade in Deutschland die sogenannte „Willkommenskultur“ mehr eine internationale Imagekampagne für Deutschland darstellt, anstatt einer dauerhaften und realen Unterstützung für Menschen.
 
In Vorbereitung der Veranstaltung haben wir uns intensiv mit seinem neuen Buch auseinandergesetzt und diskutable Aussagen bzw. Leerstellen herausgearbeitet, die wir – aus unserer politischen Sichtweise – mit ihm erörtern wollten. Die Diskussion im Nachgang der Lesung sollte Erkenntnisse versprechen, die Tenenboms Position zum deutschen Journalismus sowie seinem Verhältnis gegenüber rechten AkteurInnen betrifft.
 
In seinen Büchern behandelt Tuvia Tenenbom auch immer den Antisemitismus in der Gesellschaft, ein viel zu oft nicht beachtetes Problem, gerade auch in Deutschland. Seine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus unter Asylsuchenden und ihren Unterstützer*innen wäre ebenfalls ein wichtiger Diskussionspunkt gewesen. Genauso die Frage, weshalb der Antisemitismus von seinen rechten GesprächspartnerInnen nicht thematisiert wird.
 
Eine weiterer Kritikpunkt ist, dass in seinem Buch der starke Anstieg an rassistisch-motivierter Gewalt – Brandanschläge, gewalttätige Angriffe auf Geflüchtete, rassistische Beleidigungen – kaum Erwähnung findet. Das Themengebiet bleibt nahezu unbeachtet, obwohl Tenenbom mit Asylsuchenden und ihren Unterstützer*innen sowie Politiker*innen sprach. 
 
Gerade in Sachsen ist es, aufgrund von rechten Mob-Bildungen für linke Zusammenhänge seit mehreren Jahren unerlässlich, sich schützend vor Unterkünfte für Geflüchtete zu stellen. Dabei wurde und wird auch immer wieder die menschenverachtende deutsche Asylpolitik kritisiert, deshalb sollte sein Ausblenden der gewaltvollen rassistischen Zustände nicht unwidersprochen hingenommen werden.
 
Wir  sehen Tuvia Tenenbom aufgrund der vorherigen gemeinsamen Veranstaltungen nicht als einen „Provokateur“ an, der lediglich überspitzt, um Aufmerksamkeit zu erhaschen, daher versprach unserer Meinung nach ein solcher Austausch Interessantes. Dieser sollte dabei zur Reflexion beitragen, weshalb Tuvia Tenenbom unter sogenannten Linken so beliebt scheint, trotz seiner Ansichten zu Demokratie und Meinungsfreiheit und den damit gegebenen Anknüpfungsmöglichkeiten für rechte Argumentationsmuster.
 
Tuvia Tenenbom in Schnellroda 
 
Die Information, wonach Tuvia Tenenbom am 06.05. in Schnellroda im Institut für Staatspolitik (IfS) auftritt, erreichte uns am Nachmittag des 28.04.2017.
 
Das Institut für Staatspolitik (IfS) wurde im Jahr 2000 u.a. von Götz Kubitschek und Karlheinz Weißmann gegründet. Das IfS hat zum Ziel, eine neurechte „institutionalisierte Bildungs- und Forschungsarbeit“ zu etablieren. Kubitschek ist einer der wichtigsten Vertreter und Organisator der „Neuen Rechten“, welche gut vernetzt ist und zum fortlaufenden Rechtsruck der Gesellschaft beiträgt. Unter anderem pflegt er gute Kontakte zur Thüringer AfD, der Identitären Bewegung und war Redner bei Legida und Pegida
 
Um Kubitschek gibt es eine Infrastruktur, die der „Neuen Rechten“ essenzielle Möglichkeiten zur Veröffentlichung und Weiterbildung bietet. So gibt das IfS sechs Mal im Jahr die Zeitschrift Sezession heraus. Ebenso hat Kubitschek den Verlag „Antaios“ gegründet, der bisher rund 150 Bücher herausbrachte. Letztendlich kann Kubitschek und sein Umfeld als theoretisches Fundament dessen gesehen werden, was die AfD im Landtag und Pegida auf der Straße fordern: eine Rückkehr zum völkischen Nationalismus. Angestrebt wird eine Gesellschaftsform wie zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Das wird u.a. dadurch deutlich, dass das IfS im Jahr 2005 den Aufruf „Gegen das Vergessen“ mittrug, der sich gegen die Interpretation des 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung wandte.
 
Wir waren aufgrund dieser Informationen sehr irritiert darüber, dass Tuvia Tenenbom dort auftreten möchte und somit rechten Akteuren eine Plattform zum Austausch sowie eine Möglichkeit zur Inszenierung gäben würde. Daher haben wir noch am selben Tag Tuvia und Isi Tenenbom eine E-Mail geschrieben. Darin baten wir die Beiden, die aufgeführten Fragen zu beantworten: 
 
„Könnt ihr uns sagen, was das für eine Veranstaltung ist, wer zugegen sein könnte und was letztlich der Gegenstand der Auseinandersetzung, das Ziel der Veranstaltung ist?“.
 
Wir haben gleichzeitig transparent gemacht, dass eine Absage unsererseits durchaus im Raum steht. Neben der Nachricht an Tuvia und Isi Tenenbom kontaktierten wir unsere Kooperationspartnerin, das Conne Island (CI). Wir einigten uns auf eine abschließende Klärung zum Conne Island-Plenum am 02.05. Letztlich schrieben wir noch die Veranstalter*innen der Lesung mit Tuvia Tenenbom am 02.05. in Magdeburg an: die Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie den Miteinander e.V.. Dieser Austausch war letztlich unbefriedigend, da keine uns ersichtliche Auseinandersetzung mit der Problematik stattfand. 
 
Bis zum CI-Plenum am 02.05. erhielten wir keine Reaktion von Tuvia und Isi Tenenbom. Die ausbleibende Reaktion und die damit fehlende Beantwortung der Fragen veranlassten uns, die Veranstaltung abzusagen bzw. unsere Teilnahme an dieser zurückzuziehen. Dies teilten wir den Verantwortlichen auf dem CI-Plenum mit. 
 
Da wir die inhaltliche Vorbereitung der Veranstaltung maßgeblich übernommen hatten und das CI die Veranstaltung jedoch nicht gänzlich absagen wollte, wurde sich für eine Verschiebung ausgesprochen. Unsere Entscheidung teilten wir Tuvia und Isi Tenenbom am Abend des 02.05. via E-Mail mit. In der Nachricht versuchten wir unser Bedauern über die kurzfristige Absage auszudrücken und schlugen ihnen ein Treffen am Folgetag, für einen ausführlichen Austausch und die Darlegung unserer Beweggründe, vor.
 
Anstatt der Lesung: Gespräch mit Tuvia und Isi Tenenbom
 
Am 03.05. führten wir – zwei Personen von „Rassismus tötet!“- Leipzig sowie eine Person vom Conne Island – ein mehrstündiges Gespräch mit Tuvia und Isi Tenenbom. Unserer Meinung nach ist es für dieses Statement wichtig, die Begründung von Tuvia Tenenbom für seinen Auftritt in Schnellroda darzulegen:
 
 Er verwies auf die Bedeutung der Rede- und Meinungsfreiheit für ihn. In einer Demokratie sollten alle Menschen, so Tenenbom, gleich („equal“, also gleichberechtigt/-wertig) sein. Ob dem so sei, ist vorerst nicht der zentrale Punkt, sondern der bloße Anspruch daran sei ausschlaggebend. Entsprechend dieses Anspruchs gilt es, die Meinung einer anderen Person auszuhalten, auch wenn sie nicht der eigenen entspricht und auch, wenn sie nicht als gut/richtig erachtet wird.
 
Tuvia Tenenbom begründet im Weiteren seinen Auftritt mit dem Verweis auf den seiner Meinung nach nicht vorhandenen Unterschied zwischen der politischen Rechten, der Mitte und Linken. 
 
Sie seien alle Teil einer „big, huge family“, die ein wenig „dysfunctional“ sei. Er attestierte allen „Deutschen“ eine sehr ähnliche Art zu Denken, eine ähnliche Geisteshaltung und ähnliche Verhaltensweisen. Dies nennt er „culture“ und alle seien Teil eben dieser. Das Bestehen unterschiedlicher politischer Perspektiven spielt für Tuvia Tenenbom eine untergeordnete Rolle. „Linke“ und „Rechte“ seien Teil eben dieser „Familie“ – auch „tribe“ oder „nation“ genannt – und die Auseinandersetzungen oder Differenzen seien lediglich innerfamiliäre Streitereien.
 
Die Legitimation des Auftritts in Schnellroda erfolgt somit einerseits auf den Verweis der Gleichheit aller Menschen und der damit einhergehenden Rede- und Meinungsfreiheit, andererseits durch das Erklärungsmuster, wonach alle „Deutschen“ gleich funktionieren würden und inhaltliche Unterschiede letztlich auszublenden seien. 
 
Der Frage, welche Absichten er mit dem Auftritt verfolge, mit welchen Zielen er in die Veranstaltung in Schnellroda gehe, beantwortete er mit dem Verweis, wonach er einfach hinfahren und reden würde. Er habe keine Absichten und bereite sich auch nicht auf Veranstaltungen vor, sondern nehme es so, wie es vor Ort kommt.
 
Unser Fazit
 
Unsere Position zu den Thesen von Tenenbom und unser Verständnis von einer radikalen linken Politik ist, dass wir uns klar gegen rechte AkteurInnen wie Götz Kubitschek (s.o.) positionieren und rechte Ideologien in keiner Weise unterstützen. 
 
Diese Position legten wir auch in unserem Gespräch dar, jedoch fand diese unserer Meinung nach aber wenig bis kein Verständnis. Es bestätigt uns jedoch in unserer Absage an der Teilnahme der Veranstaltung. Die Erklärung von Tuvia Tenenbom, alle Mitglieder einer „culture“ hätten ähnliche Verhaltensweisen und Denkweisen teilen wir nicht. Es stellt das eigenständige Handeln und die Verantwortung von einzelnen Personen infrage und entschuldigt ebenso menschenverachtende Ideologien. 
 
Zudem sehen wir rassistische, antisemitische, sexistische oder LGBTIQ*-feindliche Einstellungen nicht als Meinung, sondern als menschenfeindliches und diskriminierendes Verhalten an. Dies führt gerade in Deutschland zu massiver Gewalt gegen Menschen und ist eben nicht nur eine „Meinung“. Wir schätzen es sehr, dass Tuvia Tenenbom mit uns darüber diskutierte, jedoch mussten wir im Nachhinein feststellen, nicht auf einen gemeinsamen Nenner gekommen zu sein.
 
Die Absage selbst ist durchaus auf den Auftritt von Tuvia Tenenbom in Schnellroda zurückzuführen, bildet die Entscheidung jedoch nur unvollständig ab. So ist die eigentliche Problematik weniger der Auftritt als solches, sondern (1.) weil er sich nicht mit dem Auftritt als solchem auseinandergesetzt hat. Seine Begründung des Auftritts mag aus liberaler Perspektive konsequent sein, aber es fehlt eine eindeutige Auseinandersetzung mit der so genannten „Neuen Rechten“ und ihrer Bedeutung.
 
Hinzukommt und damit (2.) geht er unvorbereitet, ohne Idee bzw. Plan in eine Veranstaltung. Er verfolgt keine Absichten, hat keine wirkliche Perspektive, will nicht Einfluss nehmen und Ansichten aktiv durch die direkte Konfrontation verschieben oder Menschen überzeugen. Es wirkt, als ob er nicht am Wandel gesellschaftlicher Zustände interessiert sei. Ursachen für gesellschaftliche Missstände und Ungleichheit lässt er außer Acht. Er will das Bestehende verwalten, allenfalls geringfügig verbessern, sodass eine Gleichheit in der Verwertbarkeit der*des Einzelnen besteht.
 
Wir hätten von ihm erwartet, dass er weiß, wem er gegenüber sitzt und mit wem er diskutiert. So ist es nicht notwendig, in seinem Buch von ihm zu erfahren, wie Götz Kubitschek seine Frau und seine Kinder behandelt. Bedeutsam hingegen ist seine Rolle und Funktion im Rahmen eines Diskurses um Asyl und Rassismus zu kennen.
 
Tenenbom betrachtet im Buch Kubitschek, Petry und Bachmann. Nur sieht er keine Verbindungen zwischen ihnen und verkennt deren Rollen, da er sie nur als Einzel-/Privatperson sieht und nicht in ihrer Funktion im Diskurs um Asylpolitik oder Rassismus. Für sich allein mögen die drei marginal sein. Tenenbom versteht nur nicht die Wechselwirkungen/-beziehungen zwischen Kubitschek (IfS, Verlag Antaios, Blog „Sezession“: Theorie, Meinungsbildung), Petry (AfD, Landtagsabgeordnete: Parlament, Gesetzgebung) und Bachmann (Pegida: Straße, Bedrohung, Gewalt).
 
Trotz der Treffen, die Tenenbom mit diesen drei – und weiteren – rechten AkteurInnen hatte, ist zu bezweifeln, dass er weiß, auf wen er da traf und welchen Einfluss diese AkteurInnen auf die menschenverachtenden Zustände in Deutschland haben. Obwohl er eben diese Zustände in seinem Buch gleichfalls kritisert. In der Ausgabe 20/2017 des Spiegel-Magazins fragte Tenenbom, „ob Kubitschek Macht habe“. Im Spiegel, so der Autor, scheint Tenenbom dies selbst zu bezweifeln. 
 
Auch wenn Kubitschek nicht an Gesetzen mitschreibt oder direkt an der Umsetzung der Unterbringung von Asylsuchenden beteiligt ist: die rechten Netzwerke, die er aufgebaut hat und in denen er wirkt, haben Einfluss. Gemeinsam mit  weiteren rechten AkteurInnen auf den Straßen und in den Parlamenten ist der Einfluss so umfassend, dass er für die rassistischen Zustände mitverantwortlich ist. Pegida hat sehr wohl erkannt, dass große Teile ihrer rassistischen Forderungen letztendlich von der Politik umgesetzt wurden. Sie waren also durchaus erfolgreich. Genauso weiß die AfD, dass sie der parlamentarische Arm des rechten Mob ist.
 
Es bleibt bei Kubitschek und Co. nicht auf der Ebene des Sagbaren, der bloßen Äußerung der Meinung, sondern gleichfalls wird aus dem Sagbaren auch das Machbare. Durchaus, RassistInnen berufen sich nicht auf Götz, Frauke oder Lutz und sagen vor Gericht: „Ich habe das Asylheim abgefackelt, weil die es gesagt haben und weil sie mir Angst gemacht haben.“ Nein, das passiert nicht. Aber RassistInnen glauben, ihre Handlung(en) hätten eine gesellschaftliche Legitimation, also Berechtigung. Durch eben Schriften, Reden, Demonstrationen und Gesetzesvorschläge dieser Menschen von IfS, der AfD oder den -Gidas. 
 
Der von Tenenbom beschriebene menschenverachtende Umgang im deutschen Asylsystem ist Ausdruck einer zutiefst rassistischen Gesellschaft, die, wie er auch beschreibt, von allen Parteien in Deutschland getragen und umgesetzt wird (unsere Position dazu: Danke für die Blumen! “Mit Asylrechts-Verschärfer*innen gegen Legida & Co.?”). Dennoch belassen wir es nicht beim beschreiben dieser Zustände, sondern bekämpfen diese. Nicht für, sondern gerade gegen Deutschland. 
 
Wer die heutige Veranstaltung verpasst haben sollte, aber dennoch Interesse hat, in etwa den Verlauf einer ähnlichen Veranstaltung mitzubekommen, der*dem seien folgende Links empfohlen: